Woher kommt die Kraft für positive Veränderungen?
Wir Menschen haben die Kraft der Imagination. Wir können in Visionen gehen, uns eine schöne Zukunft ausmalen und dadurch positive Emotionen generieren. Das Gehirn unterscheidet emotional betrachtet nicht zwischen Realität und Fiktion. Was wir uns vorstellen, kann irgendwann auch geschehen. Das Prinzip der Anziehung oder selbsterfüllenden Prophezeiung bringt uns unseren Vorstellungen näher. Wenn wir unsere Gesellschaft positiv verändern wollen, kann es also hilfreich sein in eine kollektive Vision einer erstrebenswerten Gesellschaft zu gehen.
Vor zwei Wochen fuhr ich nach Mannheim zur Jahreskonferenz der Gemeinwohl-Ökonomie. Bis auf zwei, drei Gesichter waren mir die meisten dort fremd. Ich war gespannt auf die Menschen vor Ort und auf die angebotenen Workshops. Selbst hatte ich Lust die kraftvolle Methode des Traumkreises, die ich zuvor im Ökodorf Sieben Linden kennengelernt hatte, mit Interessierten zu teilen. Wer sich mit der Idee der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) als einem neuen, ethischen Wirtschaftsmodell befasst, begreift die Genialität der Idee und was sie für unsere Welt tun könnte. Kurz gesagt steht die Gemeinwohl-Ökonomie für eine ethische Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital, sondern das gute Leben für alle ist. Ich wollte im Workshop dieses gemeinsame Verständnis über die GWÖ als Basis nutzen und mich gleichzeitig in eine Welt hineindenken, in der dieses Ideal (ein gutes Leben für alle) bereits möglich wäre. Wie wäre es in so einer Welt zu leben? Wie würde sich das anfühlen? Wie soll eine solche Zukunft in meinem Ideal aussehen, damit ich sie persönlich als erstrebenswert empfinde?
Im Plenum von 150 Teilnehmern griff ich zum Mikrofon und lud zum Workshop ein. Die Fragestellung lautete: Lasst uns gemeinsam träumen und in eine starke Vision gehen. Wie kann eine Gesellschaft aussehen in der Gemeinwohl-Ökonomie gelebt wird? Wie denken, fühlen, handeln wir dann? Wie soll diese Zukunft aussehen, damit ich mir nichts Besseres vorstellen kann, als mich mit Herz, Hand und Verstand dafür zu engagieren?
Es war ein heißer Tag, knapp 40 Grad, innen wie außen. Wir saßen zu acht im Kreis, die Teilnehmer stammten aus drei verschiedenen Nationen. Um einen vertrauensvollen Raum zu schaffen, der wahre Wünsche zuließe, gingen wir zunächst in eine kurze Meditation, zentrierten uns und verbanden uns mit unseren Herzen. Als allen die Fragestellung klar war, ließen wir den Redestab herum gehen und entwickelten Satz für Satz unsere Vision einer besseren Welt. Jeder fügte pro Runde einen Aspekt zur Vision bei. Dabei wurde kein „hätte Mal“ oder „könnte Mal“ genannt, sondern Visionen, die der Einzelne tatsächlich bereit ist einzubringen und umzusetzen.
Was in der nächsten Stunde geschah war erstaunlich! Wir hörten eigene Visionen und die der anderen vorurteilsfrei und mit Achtsamkeit, inspirierten uns gegenseitig, verstärkten Visionen und entwickelten ab Runde vier oft ähnliche Gedanken. Unsere Herzen und Köpfe hatten sich synchronisiert, es sprudelte trotz der Hitze, zwischendurch kam ein anerkennendes Brummen, wenn eine Vision besonders berührte. Schließlich hatten wir sechs Flipchart-Seiten gefüllt. Hier, im Kasten, unsere Ergebnisse: Wir ergänzten jeweils den Satz „In meiner Vision…“
Am Ende der Übung wollten wir die Visionen kategorisieren, um dann festzustellen, dass sie erstmal so stehen bleiben und für sich wirken sollten.
Die Konferenz war inspirierend und ich komme mit menschlich wertvollen Kontakten und hilfreichen Informationen zurück. Mein Experiment des Traumkreises war geglückt. Wir hatten uns in eine wunderbare Zukunft hineingedacht und sie somit für einen Moment in unseren Köpfen und Herzen Realität werden lassen. Diese Methode schafft Möglichkeiten, die nicht oktroyiert sind, sondern intrinsisch motiviert und somit greifbar – im Alltag des Einzelnen.
Ich möchte ermutigen, jeden für sich und gemeinsam, in kollektive Visionen einer Zukunft zu gehen, die wir uns von Herzen wünschen. Die Wege dorthin sind machbar. Viel Spannendes passiert zur Zeit in unzähligen Graswurzelbewegungen und in der Politik. Das Erspüren und Fühlen von positiven Zukunftsbildern macht diese für uns konkret und greifbar. Das A und O einer demokratischen Bewegung bleibt für mich zudem, dass wir als Einzelne und als Organisationen eine Idee davon haben, wohin wir wollen und friedvoll, freiheitlich, offen und konstruktiv mitgestalten. Gesellschaften können sich innerhalb weniger Jahre schleichend in die eine oder andere Richtung radikalisieren. Das kennen wir aus unserer Vergangenheit sehr gut. Daher ist es m.E. relevant, dass wir immer wieder in uns hineinhören und unsere inneren Wahrheiten mit dem aktuellen Geschehen im Außen abgleichen. Dann können wir entscheiden in welche Richtung wir unsere Welt prägen wollen.
Mich interessiert: Welche Visionen treiben dich um? Welche der obigen Visionen berühren dich oder lösen etwas in dir aus? Hinter welche der Visionen oben im Kasten kannst du in deiner Realität schon einen Haken machen?
Weiterführende Links: Die Gemeinwohl-Ökonomie kurz erklärt, Wirtschaft umdenken – wir brauchen neue Instrumente für enkeltaugliches Wirtschaften
Silke Borgmann ist Trainerin, Moderatorin, Business Coach und Mutter. Sie steht für Kollektives Bewusstsein und Kollektive Kreativität in Unternehmen. www.silkeborgmann.de